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Reisebericht: Ureshino, 13. April 2023

Kaspar Lange und ich treffen uns am Bahnhof Ureshino-Onsen und wir machen uns zu Fuss auf den Weg in unsere Gaststätte. Unterwegs legen wir einen Zwischenhalt in einer winzigen Izakaya ein um etwas zu Essen und Geschichten von unseren jeweiligen Reisen auszutauschen. Wie aus Japan gewohnt sind die vielen kleinen Gerichte balanciert und liebevoll zubereitet und die Gastgeberin ausgesprochen herzlich. Unsere SitznachbarInnen heissen uns mit Sake in Ureshino willkommen.

Ureshino ist ein ländliches Städtchen in der Präfektur Saga auf der Insel Kyusu ganz im Westen Japans. Berühmt für die heissen Quellen und den Tee der hier produziert wird. Es gibt viele verschiedene Tee-Regionen in Japan mit jeweils eigenen Stilen der Grünteeverarbeitung. In Ureshino ist es zum einen Tama-Ryokucha, "kugeliger Grüntee", bei dem die letzten Schritte der Formgebung etwas anders als wir es vom Sencha kennen ausgeführt werden, was einen cremig und würzigen Aufguss ergibt. Zum anderen Kama-iri Cha, also "im Kessel gerösteter Tee" ein, für Japan untypisch, trocken erhitzter Grüntee, eher an den chinesischen Typ erinnernd. Warme Röstnoten und viel Süsse zeichnen Tees diese Machart aus.

Das Teehaus von Tokunaga SeichaenAm nächsten Morgen besuchen wir Tokunaga Seichaen. Damit beginnt unsere Einkaufsreise in Japan.
Tokunaga Seichaen ist ein kleiner Teeladen mit angebauter Produktionsstätte, der von Kazuhisa und Vera Tokunaga in dritter Generation geführt wird. Gegründet wurde die Firma 1947 von Kazuhisas Grossvater an eben diesem Ort. Wir werden von Vera begrüsst und bekommen ein paar Tees zu probieren darunter etwas Neues, dass wir noch nicht kannten, ein Tama-Ryokucha Gyokuro. Sehr spannend! Seit vielen Jahren führen wir bei uns in Bern wunderbare Tamaryokucha und Kamairicha von Ihnen.
Kazuhisa-san ist seit 9 Uhr auf dem Teemarkt und gibt seine Gebote für die heute angebotenen Tees ab. Was für ein Glück, Vera eröffnet uns, dass genau heute die ersten frischen Shincha auf den Markt kommen. Wir haben etwas Zeit, um uns im Teeladen umzusehen und fahren anschliessend mit dem Auto zum Teemarkt, der nur zehn Minuten entfernt ist.

Der Teetisch im Inneren des Teeladens von Tokunaga Seichaen
Kazuhisa-san begrüsst uns vor dem kleinen Gebäude und führt uns hinein. Die Session wurde erst vor wenigen Momenten geschlossen. Drinnen herrscht rege Betriebsamkeit, überall wuseln Teehändler herum. Sie halten grosse Klemmbretter mit Teelisten in den Händen und greifen immer wieder in den auf Tabletts aufgereihten Teehaufen um die trockenen Blätter zu fühlen.
Auf fünf Tischreihen stehen insgesamt 90 Tees die innerhalb von zwei Stunden von den Händlern geprüft und degustiert werden. Anschliessend werden blind Gebote für die jeweiligen Tees abgegeben, wer am meisten geboten hat bekommt die Charge. Da heute die Saison erst begonnen hat sind es vergleichsweise nur wenige Tees und kleine Chargen. In ein bis zwei Wochen werden dann bis zu dreihundert verschiedene Tees à 300kg angeboten. Für uns gewaltige Mengen, Alltag für das kleine Häuschen etwas ausserhalb von Ureshino.

Der hintere Teil des Teemarktes ist für die Degustation bestimmt. Auf fünfzehn Gaskochern brodelt Wasser in überdimensionierten Metallkannen. Bergeweise aufgegossene Blätter schwimmen in Abflusskanälen. Wir probieren einige von den frischen Tees, die heute zu Verkauf stehen. Ein Kamairicha und sechs verschiedene Tamaryokucha. Neben der Verarbeitung und dem Terroir ist die Varietät der Teepflanze entscheidend für den Geschmack, den Charakter des Tees. Viele der Tees, die wir probieren sind aus Saemidori hergestellt. Eine Varietät, der wir diese Tage immer wieder begegnen werden,Die heute zum Verkauf stehenden Tees stehen bereit zum verkosten da sie früh spriesst. Sie gilt als eher weich mit schönem Umami.
Schnell finden Kaspar und ich einen Favoriten unter den aufgegossenen Tees. Und Kazuhisa bestätigt uns, dass er für diesen Tee geboten hat und hofft, dass er ihn bekommt.
Bei allen Tees, die wir auf diesem Markt sehen, handelt es sich um Aracha, unfertigen Tee. In Japan werden üblicherweise die gepflückten Blätter in einer ersten Produktionsphase zu Aracha verarbeitet. Aracha ist der rohe, unfertige Tee: das frische Pflückgut wird gedämpft, gerollt, geformt und kontinuierlich erhitzt, um den Wassergehalt des Blattes zu reduzieren. Zum Schluss bleibt eine Restfeuchtigkeit von 5-8% im Blatt erhalten. In diesem Zustand kommt der Tee auf den Grosshandelsmarkt, wird gekauft oder ersteigert, dann in die Fabrik des Käufers verfrachtet um dort zum fertigen Shiagecha verarbeitet zu werden.
So auch heute. Noch während unserer Degustation werden die Käufer und Preise der Tees ausgerufen und fein säuberlich auf die grosse Wandtafel notiert. Kazuhisa freut sich, dass er den Tee, den wir vorhin getrunken und für den besten empfunden haben, kaufen konnte.

Tokunaga Seichaen beschafft sich Tee auf zwei Wege. Zum einen hier auf dem lokalen Teemarkt, zum anderen über persönliche, direkte Kontakte mit TeebäuerInnen. Teehändler in Ureshino dürfen selber keine Gärten besitzen. Zurück zum Teehaus und weiter ins Restaurant, vier Mal wunderbare Onsen-Tofu.

Wasserkocher aufgereihtDiese Tees verkosten wirKazuhisa Tokunaga notiert die ausgerufenen Preis und Käufer

Teelandschaft in Ureshino mit Teereihen zum maschinellen PflückenSpäter machen wir uns dann auf den Weg in die Hügel, um ein paar Teegärten zu besichtigen. Die Fahrt führt hoch hinauf auf die Hügel, die Ureshino-shi umgeben. Kazuhisa zeigt uns einen gewaltigen, über 350 Jahre alten Teebaum und erzählt uns die Geschichte dazu. Die Anfänge der Teeproduktion in Japan sind ziemlich genau auf das Jahr 1191 zurückzuführen - als der Mönch Eisai Teepflanzensamen aus China mitbrachte und sie in der heutigen Präfektur Saga, in der wir jetzt unterwegs sind, anpflanzte. Im 15. Jahrhundert immigrierten viele Keramikhersteller aus China in diese Region und brachten erstmals die Teekultur in diese Gegend.
Doch erst als der Samurai Jinbei Yoshimura um 1650 anfing in den Hügeln um das Dorf Waldpartien zu roden, um darin Teegärten anzulegen und auch die lokale Bevölkerung ermunterte, es ihm gleich zu tun, hielt die Teeproduktion Einzug in Ureshino. Es war Yoshimura, der auch den Teebaum pflanzte, der 1926 zum National Natural Monument ernannt wurde. Kazuhisa selbst ist direkter Nachfahre von eben diesem Samurai.

Wir fahren wieder Tal einwärts und machen in verschiedenen Gärten Halt. Einige sind bereits zum Beschatten bedeckt. Vielerorts in Japan ist es üblich, die Teepflanze vor dem Pflücken für einige Zeit zu beschatten, um die direkte Sonneneinstrahlung zu reduzieren. Der biochemische Prozess dahinter ist einigermassen komplex, wir werden ihn anderswo ausführen. Wichtig zu wissen ist, dass beschattete Tees deutlich süsser und weicher sind. Der eingezäunte über 350 Jahre alte Teebaum. Mit 4.5m Höhe und einer Krone von 80m2 gilt er als einer der grössten Teebäume der WeltAuch das Umami, welches in Japan so sehr geschätzt wird, ist sehr viel stärker ausgeprägt aus bei unbeschatteten.
In dieser Gegend ist es üblich, die Büsche direkt mit einer Art Plastiknetz zu umschliessen, was viel einfacher und günstiger ist, als ein Gerüst für eine Überdachung zu bauen. Von Garten zu Garten gibt es viele unscheinbare Unterschiede. Wie locker ist der Boden, die geografische Ausrichtung der Hecke, Frostschäden an den Spitzen der Blätter und so weiter. Dieses Jahr sei ein gutes Jahr für Tee, der Winter war nicht zu trocken und es gab wenig Frost im Frühling.
Wir fahren weiter auf die gegenüberliegende Hügelseite, wo sie uns einen Garten für Wettbewerbstee zeigen. Die Umgebung ist abgelegener und wild bewachsen. Die Stämme der Teebüsche sind dicker und moosbewachsen. Die Beschattung wird nun auch aufwendiger gestaltet. Zwar sind Netze und Stöcke immer noch aus Plastik aber eben über den Garten gespannt und nicht daraufgelegt. So werden die Blätter nicht beschädigt und es kann Luft zwischen Abdeckung und Pflanzen zirkulieren. Das wirkt sich positiv auf den Geschmack und das Aroma des fertigen Tees aus.

Die akkurat gestutzte Teelandschaftトビさん und カスパルさん vor den TeegärtenDirekt beschattete Teebäume, KabuseGarten für Wettbewerbs-Tee Tama Roykucha Kamairi mit hoher BeschattungKazuhisa, Toby und Vera zwischen den bedeckten TeegärtenNahaufnahme des Plastiknetzes, darunter die frisch gewachsenen Blätter und Knospen

Hier wird in kleinen Chargen Kamairicha endgetrocknetNach der Ausfahrt in die umliegenden Teegärten fahren wir zurück zum Teeladen, bzw. in die Fabrik, wo uns Kazuhisa herumführt. Als wir spätnachmittags die Halle betreten rieselt der fertige Shincha, den Kazuhisa heute morgen gekauft hat, gerade eben sachte vom Förderband einer sich schüttelnden Maschine in einen grossen Sack. Diese Produktionsstätte führt die letzen Schritte der Teeverarbeitung durch. Deswegen auch der Name Tokunaga Seichaen, Tokunaga Teemanufaktur. Der rohe, unfertige "Aracha" wird zu fertigem, veredeltem Tee "Shiagecha". Nötig dazu ist:

  • Aussortieren des Pflückgutes, wobei Fremdkörper, Staub, Stängel und Blätter werden von einander getrennt.
  • Endtrocknung der Blätter, der Wassergehalt wird auf 1-2% reduziert.
  • Mischen verschiedener Chargen, Varietäten und Qualitäten um den gewünschten Tee zu erhalten.
  • Abpacken in die gewünschte Grösseneinheit. Von 25kg Kartons bis zum filigranen 5g Tütchen.


Diese Schritte werden zwar von Maschinen durchgeführt, sind aber alles andere als vollautomatisch. Die Bedienung der Anlage liegt in der Obhut eines Mitarbeiters mit vierzig Jahren Erfahrung, der kleinste Veränderungen im Pflückgut berücksichtigen und entsprechende feinjustierungen vornehmen muss, um eine optimale Verarbeitung zu erzielen. Die Fabrikhalle ist relativ übersichtlich, insgesamt sehen wir acht Maschinen, neue wie alte. Doch der Umfang täuscht, an einem Tag können hier bis zu 600kg Tee verarbeitet werden.

Blick auf die Maschinen zur Veredelung von Aracha zu ShiagechaIm Vordergrund eine ältere Maschine, hinten neuereDas Gasfeuer zum Endtrocknen des Tees

Zum Abschied servieren Vera und Kazuhisa uns den fertigen Shincha den sie heute Morgen gekauft haben. Ein wunderbar frischer Tropfen! Natürlich zu frisch, denn der Tee braucht noch einige Wochen um sich zu beruhigen. In dieser Zeit wird die Hitze der Röstung entweichen und das adstringierende Grün sich legen.
Aber die Qualität stimmt und nicht zuletzt ist es für uns der erste Schluck Grüntee vom neuen Jahr!

Tobias Hurschler, Ureshino und Hoshino, 13.-15. April 2023

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