Reisebericht: Laoman‘e, Bulangshan 31. März 2019
Die Reise zum Bulangshan, im südwestlichen Xishuangbanna nahe der Grenze zu Myanmar, war besonders eindrücklich und berührt mich sehr. All die Eindrücke, die ich unterwegs in den Bergen und Dörfern, im Kontakt mit den Einheimischen sammeln durfte, sind in Worten nur schwer wieder zu geben. Jedes Ereignis ist einerseits persönlich und andererseits symbolisch. Jede Strasse, die wir begehen, jedes Haus, das wir besuchen, jeder Mensch, der uns begrüsst, jeder Tee, den wir trinken: alles hat eine persönliche und gleichzeitig eine gesellschaftliche, eine lokale und auch eine globale Bedeutung. Wie soll ich diese Vielschichtigkeit in nur einem Reisebericht zum Ausdruck bringen?
Die Reise ins Dorf Laoman’e am Bulangshan ist schon länger geplant, allerdings gab es einige Schwierigkeiten einen Fahrer zu finden. He Tu, der uns zu Beginn unseres Aufenhaltes in Jinghong begleitet hat muss seinen Bruder He San bei der Teeproduktion unterstützen. Der Fahrer, welcher uns zum Youleshan gefahren hat, weigerte sich, uns nach Laoman’e zu bringen, weil er sich um sein Auto sorgte. Erst gegen Mitternacht erhielt Weng Liping die Bestätigung eines Chauffeurs, der uns am kommenden Morgen, um neun Uhr abholen würde.
Die Fahrt dauerte etwas länger aus drei Stunden. Dieser Frühling ist trocken, die Luft entsprechend staubig. Ich wickle mich in mein Halstuch ein, um den Strassenstaub herauszufiltern. Die Sonne steht am Himmel, ihr Licht ist ebenfalls getrübt von Staub. Nach einer für mich unerwarteten Grenzkontrolle zwecks Kontrolle des Drogenschmuggels aus Myanmar biegen wir ein in die Bergstrasse. Heute ist der Weg geteert bis hinauf in die Dörfer am Bulangshan. Wir fahren vorbei an den Teeplantagen der grossen Teeunternehmen. Sie produzieren einerseits Plantagentees und handeln gleichzeitig mit Tee aus alten Teebäumen. Da die Grosshandelsunternehmen grosse Mengen aufkaufen, treiben sie die Preise in die Höhe. Darüber sprechen wir im Vorbeigang.
Es folgen Urwald, wieder Plantagen, frei stehende Häuser, überall wird in den Strassengräben Laub verbrannt, es riecht beissend nach Rauch. Zu unserer Linken sehen wir plötzlich ein grosses Tor, es ist der Eingang zum Dorf Xinbanzhang (das neue Banzhang). Würden wir den Weg durch das Tor wählen, kämen wir nach Laobanzhang. Tee aus Laobanzhang ist gesucht und teuer, das Dorf ist in kürzester Zeit zu unglaublichem Reichtum gelangt und hat sich entsprechend verändert. Grosse Häuser, teure Restaurants, überhebliche Teehändler, eine Welt für reiche Leute, eine Welt, die den Habitus des Wohlstandes feiert und nicht die Liebe zum Tee. Die Preise sind mittlerweile so hoch und die Umgangsformen so ruppig, dass wir uns am Bulangshan auf das Dorf Laoman'e beschränken.
Plötzlich sehen wir aus der Ferne auf Laoman’e herunter. Die vier erfahrenen Yunnan-Reisenden rufen alle aus: Das Dorf hat sich verändert, rasch, ungehalten, in Marmor, Plastik und Metall. Wie in Laobanzhang werden auch hier die Preise steigen, die Menschen sich verändern. Paradoxerweise war die Dorfbevölkerung in den Bergen Yunnans so arm, dass die Mode um den Tee zunächst ein Segen war.
Da sich in China alles in rasantem Tempo entwickelt, sind die ärmsten innerhalb von Monaten plötzlich die reichsten. Es ist selbstverständlich, dass ein neuer Lebensstandard gewünscht und aufgebaut wird. Glück drückt sich hier meistens in materiellen Dingen aus: Uhren, Autos und grosse palastartige Häuser nach europäisch-amerikanischem Vorbild, edle Treppenaufgänge, schwere Vorhäge, Kronleuchter und riesige Flachbildschirmfernseher neben chinesischen Hocktoiletten, rudimentären Küchen und staubigen Hauseingängen.
Wir besuchen mehrere Hersteller. Den einen zum ersten Mal. Für den ersten Eindruck sind Empfang und die Begutachtung des Ateliers von Bedeutung. Hier geschieht alles am selben Ort, zum Teil sogar im selben Raum: wohnen, kochen, essen und Tee herstellen, die Wäsche waschen und aufhängen. Das Atelier ist chaotisch und schmutzig. Wir bedanken uns und ziehen weiter. Der zweite Besuch gestaltet sich anders. Chen Sanmao und Weng Liping trafen den jungen Produzenten letztes Jahr zum ersten Mal. Das Atelier ist noch im entstehen und hat Entwicklungspotential. Die Begegnung ist jedoch ehrlich, klar und der Teegarten ist gesund. In Laoman’e müssen wir direkt einkaufen, Muster mit zunehmen und später zu bestellen ist nicht möglich, der Tee ist zu gefragt. Sobald Interessenten und Interessentinnen vor Ort bereit sind zu bezahlen, werden die Tees verkauft. Wir kaufen was heute zur Verfügung steht. Die Mengen sind zurzeit noch gering, denn die Trockenheit verlangsamt das Wachstum der Pflanzen enorm.
Idealerweise ist man zur Erntezeit vor Ort. Dieses Jahr ist das Timing sehr schwierig, weil das Wetter viel zu trocken ist. Der dritte Hersteller ist schon über mehrere Jahre hinweg konstant geblieben. Einzig die Preise steigen. Bevor wir bei ihm eintreffen wissen wir schon, dass wir jetzt zuschlagen oder nie. Wie mit He San am Nannuoshan hat Weng Liping auch mit Yan Xianyao in Laoman'e am Bulangshan über die Jahre hinweg immer wieder über Teeverarbeitung und Verbesserungen baulicher Art wie zum Beispiel Glas statt Plastik zum Sonnentrocknen, bessere Ausgestaltung der Holzbefeuerung des Woks inkl. Führung der Kamine, so dass der Tee nicht mit Rauch in Kontakt kommt. Im vergangenen Jahr wurde hier offenbar viel investiert. Das ganze Atelier wurde am Dorfrand neungebaut- Daneben entstehen Zimmer für die Kundinnen und Kunden, man könnte hier übernachten, essen und weiter einkaufen.
Alles geht sehr schnell, die Aufregung ist gross, die Kundschaft wartet ungeduldig und schlägt ebenfalls zu. Wir möchten jedoch vor dem Einkauf degustieren, nicht nur ein zwei, nein: neun zehn Aufgüsse, um den Tee fundiert zu beurteilen. Nun überschlagen sich die Ereignisse, mir geht alles zu schnell. Innerhalb von Minuten werden zig Aufgüsse getrunken, die Nerven liegen blank. Kaum ist der Einkauf getätigt ist die Stimmung wieder leicht, alle Beteiligten sind glücklich, dankbar und ausgelassen. Weil wir schon viel länger unterwegs sind als mit dem Fahrer ausgemacht setzen wir uns sofort ins Auto und fahren drei Stunden im Staub zurück nach Jinghong.
Es bleibt ein eigenartiges Gefühl, berührt und staunend. Die Herzlichkeit der Begegnungen vermischt sich mit dem zwiespältigen Bild der Bauten. Protzig und trotzdem chaotisch und dreckig, Statussymbole, gleichzeitig Plastiklatschen. Das rasante Tempo der Entwicklung überrollt die Menschen, das fällt mir nicht nur den Bergdörfern auf. Es wird fast vierundzwanzig Stunden am Tag gearbeitet, alle sind jederzeit erreichbar, kommt die Antwort zu spät springt eine andere Person ein. Es bleibt kaum Zeit zu planen, zu reflektieren oder – wann man sich Zeit nimmt – ist nach der Bedenkzeit schon wieder alles neu und anders und wieder stellen sich alle auf eine neue Situation ein. Einen guten Lebensstandard ist allen zu wünschen. Die Frage, was denn gut sei, wird überall anders beantwortet.
Der Ablauf der Reise ist nun erläutert, doch ist dies nur ein Bruchteil all jener Eindrücke, die auf mich wirkten. Der Reisebericht bleibt eine Annäherung.
Tina Wagner Lange, 1. April 2019 in Jinghong (Xishuangbanna)