Reisebericht: Tanyang und Fuding, 11.-13. April 2019
Fu’an heisst unsere nächste Station. Nach dem Besuch der eleganten Dörfer in den Hügeln um Hangzhou erwartet uns hier eine neue Herausforderung. In Fu’an gibt es weder touristische Attraktionen noch berühmte Tees. Die Stadt befindet sich irgendwo in China, die Strassen sind dreckig und wüst, die Leute starren uns an, weil sie noch nie einer Person aus dem Westen begegnet sind. Sie wenden sich von uns ab, weil der Umgang mit uns zu kompliziert und aufwendig sein könnte, oder weil man einfach nicht weiss wie mit uns Kontakt aufnehmen. Zum Glück spricht Kaspar Lange chinesisch; so können wir ein Hotelzimmer buchen und im Restaurant bestellen.
Es ist sehr laut hier, ununterbrochen wird gehupt, Lautsprecher ertönen aus allen Richtungen, Taxifahrer und Warenhändler verkünden ihr Angebot laut rufend. Die Strasse zu überqueren ist ein grosses Abenteuer. Verkehrsregeln scheint es zwar zu geben, wer sich wann und warum daran hält oder eben nicht bleibt mir jedoch bis zur Abreise unklar. Obwohl wir zwei entdeckungsfreudige Menschen sind, bleiben wir lieber im Hotelzimmer, da ist uns wohler. Ich war mir nicht bewusst, dass es auch hier in der Nähe Tee geben soll, dachte, dass wir nur einen Zwischenhalt einlegen, weil die Wege zwischen den verschiedenen Anbaugebieten sehr weit sind. Doch dies war nur ein Missverständnis, tatsächlich gibt es auch in den Hügeln um Fu’an Tee.
Ungefähr eine Stunde Autofahrt von der Stadt entfernt befindet sich das Dorf Tanyang. Vor sechs Generationen wurde hier die Schwarzteeherstellung eingeführt. Wir besuchen Shi Liqiang, Teeproduzent und langjähriger Kontakt von Kaspar Lange. Wir werden von dessen Bruder Shi Libin abgeholt und nach Tanyang begleitet. Die Kommunikation vorab beunruhigt uns ein bisschen, da auf unsere Anfragen nicht postwendend eine Antwort kommt. In den berühmten Teeanbaugebieten werden Nachrichten innert kürzester Zeit beantwortet. Das Kommunikationstempo ist rasant, das Geschäft ist die treibende Kraft. Wenn die Antwort nicht rasch genug kommt wird Ersatz gesucht. Davon wird bewusst oder unbewusst ausgegangen. Dieser Druck lässt die Chinesinnen und Chinesen, in wirtschaftlich hochaktiven Kreisen, praktisch rund um die Uhr erreichbar sein. Die Gebrüder Shi sind sehr zuverlässig, das Hin und Her der Nachrichten läuft nur etwas langsamer als wir uns das bisher gewohnt sind. Nachdem wir uns auf die neue Situation eingestellt haben, läuft auch tatsächlich alles nach Plan.
Wieder fahren wir auf kurvigen Strassen durch von Wald und Teepflanzen bewachsene Hügel. Als wir in Tanyang ankommen ist das Dorf praktisch menschenleer, es regnet und ist kalt. Im Schutz der Häuser sitzen in Regenschutz eingepackt drei Frauen und ernten Blätter von abgeschnittenen Zweigen. Die Erntesaision ist bald zu Ende, die Teebüsche werden zurückgeschnitten und die Dorfbewohner, -bewohnerinnen stellen bei Sonne oder auch bei Regen einen einfachen Grüntee her – für den Eigengebrauch. Die wertvolleren Schwarztees werden vermutlich grösstenteils verkauft. Die lokale Bevölkerung trinkt in allen Regionen die Reste, das Aussortierte oder verwendet die Blätter, welche nicht zu wertvollen Tees verarbeitet werden können. Mit den hochwertigen Tees wird das Geld verdient.
Wir treffen zur Mittagszeit ein und werden direkt zum Essen eingeladen. Die ländliche Küche besteht hauptsächlich aus Fleisch in allen Varianten - Haut, Innereien, Knochenstücke – sowie Fisch und Meeresfrüchten. Die Gerichte gelten bestimmt als besonders wertvoll und drücken den Gästen gegenüber Wertschätzung aus, doch die Kost ist für mich sehr ungewohnt, es ist hier nicht ganz einfach höflich zu sein und keine Mine zu verziehen. Anschliessend werden wir zum alten Zuhause der Familie Shi geführt. Ein wunderschönes, altes Hofhaus, das zu einem Teehaus umfunktioniert wurde, um Kundschaft zu empfangen. Hier degustieren wir die Tees von Shi Liqiang, einen nach dem anderen. Im Unterschied zu den Begegnungen in den berühmten Teegegenden fällt mir hier auf, dass die Familie sehr stolz ist auf ihr eigenes Produkt. Sie möchten nicht einfach irgendetwas verkaufen, sondern um der Welt zeigen, wie wertvoll ihr traditioneller Tan Yang Gong Fu ist. Seine Vater, sein Grossvater und weitere Vorfahren haben schon Tee hergestellt. Der Vater stand im Dienst der staatlichen Teefabrik, deren Tee vor allem in die Sowjetunion exportiert wurde, darauf ist die Familie besonders stolz. Die Tees, welche wir degustieren dürfen sind allesamt hervorragend. Nachdem ich mir in den vergangen Wochen eine sehr kritische Haltung angeeignet habe, kann ich nun kaum fassen, dass wir zwischen all den Tees einfach auswählen können, denn ja, sie sind alle wunderschön. Lokale Schwarzteetraditionen werden wohl nie den Status der berühmten Grüntees oder Pu Er erreichen, die Produzentinnen und Produzenten sind demnach nur in den interessierten Kreisen bekannt. Hier gilt die Liebe zum eigenen Produkt, der Stolz auf die eigene Tradition noch als wertvolles Gut. So entstehen wahrhaft schöne Tees.
Am selben Abend reisen wir direkt weiter nach Fuding. Die Stadt ist grösser, der Tee der Gegend wieder etwas berühmter. In den Bergen um die Stadt Fuding werden Weisse Tees hergestellt. Hier besuchen wir die Familie Shi, die ebenfalls seit mehreren Generationen Tee herstellt. Die Geschwister Shi Xiuling und Shi Chengyu legen heute nicht mehr selber Hand an, sondern lassen ihren Tee produzieren. Sie verkaufen den Tee der Familie in Diantou direkt oben im Anbaugebiet, in der Stadt Fuding sowie im Teemarkt in Peking. Wir verbringen einen ganzen Tag damit, alle möglichen Silver Tips und White Needle zu verkosten. Dieses Jahr regnete es viel, dann blieben die Temperaturen tief, bevor es zur Erntezeit heiss wurde und die Sonne schien, so dass die Blätter plötzlich sehr rasch gewachsen sind. Diese Wetterlage ist für den Tee nicht ideal, er wird etwas zurückhaltender und weniger dicht. Ganz anders als in Tanyang wird in der Herstellung weniger die Tradition hochgehalten, als vielmehr der Zeitgeist bedient: die Tees sollen möglichst grün und frisch schmecken. Die Verbindung zwischen traditionellem Handwerk und Qualität ist nur schwer zu vermitteln, da für die Produzentinnen und Produzenten vor Ort da kein Zusammenhang besteht. So oder so, werden um Fuding heutzutage fast ausschliesslich moderne weisse Tees hergestellt. Heute stosse ich trinktechnisch an meine Grenzen, jeder Tee wird in mehreren Aufgüssen degustiert und jedesmal, wenn ich denke so, jetzt können wir entscheiden finden sie noch einen weiteren. Wir haben eine deutliche Vorliebe für Tees aus alten Varietäten und solche von verwilderten Büschen, welche aus Mangel an Pflückerinnen über längere Zeit nicht genutzt wurden oder auch von hochgewachsenen, längere Zeit nicht zurückgeschnittenen Teepflanzen. Unsere Favoriten sind allesamt schwieriger, aufwendiger zu ernten. Dieses Jahr fehlt es auch in dieser Region mehr denn je an Pflückerinnen. Die Gesamtmenge an Fuding Tee sinkt deshalb Jahr für Jahr. In Zukunft wird es wohl weitere Gärten geben, die nicht mehr bewirtschaftet werden und dadurch für uns wertvolle Blätter treiben. Doch von wem werden sie gepflückt? Die Entwicklungen in Fuding um Anbau und Herstellung bleiben ebenfalls ungewiss. Die Nachfrage steigt, die Teemenge sinkt, die Produktion wird schwieriger. Die Familie Shi sieht die Entwicklungen noch gelassen. Es wird kommen, was kommen wird.
Tina Wagner Lange, im Zug nach Shanghai 13. April 2019