Reisebericht: Chaozhou 24.-27. April 2018
Montag, 23. April 2018 // Von Fuding aus bin ich mit Hochgeschwindigkeitszug nach Chaoshan gefahren, ein Ticket hatte ich ja schon bei meiner Ankunft in Fuding gekauft. Von den Hochgeschwindigkeitszügen gibt es je nach Ausbau der Strecke zwei Kategorien: die normalschnellen Dongche (Triebwagen, gut 200km/h) sowie die wirkliche schnellen Gaotie (Abkürzung von Gaosu Tielu, Hochgeschwindigkeitseisenbahn, bis 350km/h). Auf der Strecke von Shanghai der Küste entlang über Xiamen nach Shenzhen, auf der ich bisher unterwegs war, fahren die Triebwagenzüge, zwischen Shanghai und Suzhou (und weiter bis Beijing) die ganz schnellen. In den letzten knapp zehn Jahren sind in ganz China Hochgeschwindigkeitsstrecken gebaut worden, in einem unglaublichen Tempo. Überall sind weitere sich im Bau befindende Strecken zu sehen.
Das Chaoshan genannte Gebiet zwischen den beiden Städten CHAOzhou und SHANtou ist eine kulturell-sprachlich-kulinarisch eigenständige Region in China, und obwohl sprachlich nahe an Süd-Fujian, zur Provinz Guangdong gehörig. Wie überall in China ist auch hier Putonghua (Mandarin) die Lingua franca, also auch kantonesischsprachige aus anderen Teilen der Provinz Guangdong müssen sich hier mit Mandarin durchschlagen. Nach gut vier Stunden fahrt bin ich in Chaoshan angekommen, von da wieder eine gute halbe Stunde (und für knapp die Hälfte des Zugticketpreises) per Taxi in die Stadt, wo ich Sanmao, Liping und Xiuru wieder treffen sollte. Sie waren von Shanghai nach Chaoshan geflogen und sind, das gute Wetter ausnutzend, gleich in die Teegärten auf dem Berg Wudong gefahren, um Muster von frisch verarbeiteten, noch unaussortierten und ungerösteten Maocha verschiedener Feng Huang Dan Cong zu suchen.
Dienstag, 24. April 2018 // Den ganzen Tag haben wir mit Degustieren in einem schönen Teehaus in einem alten Haus mit Innenhof in der Altstadt von Chaozhou verbracht. Wir haben noch mal Muster von Bai Mu Dan probiert, hätte ich dies gewusst, hätte ich von den von mir in Fuding ausgesuchten Tees Muster mitgebracht. Dann haben wir uns der Ausbeute vom Vortag angenommen. Alles Feng Huang Dan Cong (Phoenix Single Bush), alles Maocha; die Verarbeitung, der Duft, das Typische der Varietät, alles kann gespürt, geschmeckt, gerochen werden – aber das Rösten, das muss man sich vorstellen! Das Ganze natürlich in Blind-Degustation. Nach mehreren Aufgüssen und den Analysen und Diskussionen wurden die Teenamen aufgedeckt. Wir haben verschiedenste Pheonix degustiert, zum Teil mehrere pro Sorte: Mi Lan Xiang, Huang Zhi Xiang, Da Wu Ye, Ya Shi Xiang Tong Tian Xiang, Gong Xiang, Lao Xian Ye, Xing Ren Xiang, sogar Wu Ming – also ohne Namen. Mit den Sorten, Teepflanzenvarietäten und Namen ist das bei Feng Huang Dan Cong so eine Sache für sich, dazu mehr unten. Nun die grosse Überraschung: obwohl ich bereits bei einigen Tees aufgrund des Geschmackes den Verdacht äusserte, den Gedanken aber gleich wieder verwarf, hätte ich nicht damit gerechnet: bis auf zwei Muster sind alle Tees aus Shiguping. Das andere Dorf neben Fenghuang. Und der letzte Tee ist ein Lao Cong Shui Xian Dan Zhu vom Wudong – Tee aus einem einzelnen, mehrhundertjährigen Baum aus einer Top-Lage.
Mittwoch, 25. April 2018 // Ursprünglich wollten wir an diesem Tag nach Shiguping hinauffahren, aber dies ging zeitlich nicht ganz auf uns so haben wir dies auf den nächsten Tag verschoben. Am Morgen sind wir kurz zum Teeladen in Chaozhou der Teebauernfamilie aus Shiguping gegangen, um dies und anderes zu besprechen, und um den Maocha des einzelnen Teebaumes zum Aussortieren hierzulassen. Wie ich später erfahren würde, sind die eine Tochter und ihr Mann Teebauern auf dem Wudong, von ihnen kommt dieser Tee. In diesem Teeladen und in den Teegärten in Shiguping waren wir schon im Jahr 2015 und hatten damals Shi Gu Ping Wu Long und Shi Gu Ping Ba Xian gekauft und bei Teemeister Ye rösten lassen.
Noch vor Mittag sind wir in das Quartier der früheren Porzellanfabriken gefahren, wo jetzt die in mittlerweile ausserhalb stehenden Fabriken hergestellten Porzellanwaren in fabrikeigenen Läden verkauft werden. Wir haben diverse Läden abgeklappert, denn auch beim Porzellan gibt es verschiedenste Qualitäten, zwischendurch in kleinen Strassenkneipen zu Mittag gegessen, ähnliche, aber nicht ganz gleiche Cups, Gaiwan und Anderes verglichen und uns schlussendlich entschieden. Das war aber erst, wenn überhaupt, die halbe Arbeit: damit die Ware in Europa intakt ankommt, bedarf es einiger Verpackungskünste beziehungsweise Überredungskünste, um die Verkäuferinnen (wie übrigens jedes Mal wieder von Neuem) von der Notwendigkeit bruchsicherer Verpackung zu überzeugen. Sanmao, Xiuru und ich haben mit angepackt, kurz nach sechs Uhr waren wir fertig. Nun würde die Ware – sicher verpackt – nach Shanghai geschickt und dort von Xiuru in Export-Post-Kartons umgepackt werden.
Donnerstag, 26. April 2018 // Endlich fuhren wir in die Teegärten nach Shiguping! Kurz nach neun Uhr wurden wir vom älteren Sohn der Teebauernfamilie Lan abgeholt und zu ihrem alten Zuhause im Dorf Shiguping auf gut 600 Metern über Meer gefahren. Die Familie Lan gehört zur Minderheit der She, die in Shiguping ihren Ursprungsort zu haben scheint und im Frühmittelalter aufgrund von Konflikten mit technologisch überlegenen Einwanderern aus nördlicheren Gebieten in diverse andere hügelige Regionen Südchinas ausgewandert war, so jedenfalls das She-Minorität-Museum in Shiguping. Die Familie Lan baut seit Generationen Tee in Shiguping an. Noch die beiden 1983 und 1985 geborenen Brüder brachten ihren Tee per Motorrad jeweils nach Raoping, eine Kreisstadt an der Grenze zur Provinz Fujian, wo bis in die neunziger Jahre hinein Tee aus Fenghuang und Shiguping gehandelt wurde. Von 2000 bis 2002 hatte die Familie einen Teeladen in der Altstadt von Chaozhou, seit 2002 den jetzigen Teeladen an einem anderen Standort. Die eine ältere Schwester produziert mit ihrem Mann Tee oben auf dem Berg Wudong, wie bereits angetönt, die andere ältere Schwester hat anscheinend selber einen kleinen Teeladen in Chaozhou. Der ältere der beiden (gegenüber den Schwestern jüngere) Brüdern produziert den Tee in Shiguping, die Eltern führen den Teeladen in Chaozhou, der jüngere Bruder hat zusammen mit seiner Frau seit 2012 einen Teeladen in Qingdao in Ostchina und kommt jeweils zur Erntezeit sowie im Juli und im Oktober zum Tee Rösten nach Chaozhou – zusammen mit einem guten Freund hat er im Dorf Fenghuang ein Teelager und Röstöfen, elektrische für dss erste Rösten und für günstigere Tees, einen holzkohlebeheizten Ofen sowie die traditionellen zum Holzkohlerösten benutzen Bastkörbe.
Während Vater Lan für uns sowie die Teepflückerinnen das Mittagessen kochte, haben wir mit den beiden Brüdern verschiedenste Tees getrunken, alles frische Maocha aus ihren Gärten in Shiguping. Nach dem Mittagessen sind wir dann in die Teegärten gegangen. Wie in vielen Gegenden in China ist hier das Land in kleine Parzellen aufgeteilt, so dass eine Familie ihre Teebüsche über ein grosses Gebiet verteilt hat. Neben den nur hier vorkommenden Kleinbusch-Varietät Shi Gu Ping Wu Long sind alle anderen Pflanzen Abkömmlinge der Shuixian-Bäume, die seit der Song-Dynastie auf dem Berg Wudong angebaut werden. Die diversen Untervarietäten von Shui Xian unterscheiden sich zum Teil erheblich; allen gemein ist eine hochwachsende Buschform mit Weiterwachstum zum Baum, wenn sie nicht zurückgeschnitten werden, sowie der mehrästige Stamm. Der Name Dan Cong, Single Bush, bezeichnet die Anbauart als einzelne Büsche/Bäume im Gegensatz zum Anbau in Buschreihen. Wie in der ganzen Phoenix-Region ist die Varietät Bai Ye (für Mi Lan Xiang) die meistverbreitete.
Bis wir zurück kamen, war es schon später Nachmittag. Die frisch gepflückten Blätter (eine Resternte von erst jetzt ausgewachsenen Blättern) waren zum Welken ausgelegt. Wir haben die vom Mittag übriggebliebene, aufgewärmte Suppe sowie frisch zubereitete Gemüse (kurz gekochtes salatartiges Grünzeugs) zu Abend gegessen und dann weiter Tee getrunken, bevor wir zum Schluss das Teelager mit den Apparaturen zum Rösten anschauen gegangen sind; wobei wir dort weitere Tees getrunken und über de Art, die Techniken des Röstens gesprochen haben.
Freitag 27. April 2018 // Als letzter Punkt im Programm in Chaozhou war der Besuch bei Teemeister Ye geplant. Von ihm hatten wir unser ganzes Sortiment an Feng Huang Dan Cong gekauft, ausser der Tees aus Shiguping, die aber von ihm geröstet wurden. Nun ging es einerseits darum, die Vorräte aufzustocken, anderseits um die definitive Auswahl der Tees aus Shiguping, die wiederum Meister Ye rösten sollte. Das heisst nichts anderes als, klar, viel degustieren, aber auch viel lernen.
Teemeister Ye ist ein Meister seines Fachs. Nur durch Riechen am trockenen Blatt kann er schon voraussagen, wie der Tee sein wird. Er hat keine eigenen Teegärten, sondern kauft ausgesuchte Maocha und mischt verschiedene Lagen von Teegärten, verschiedene Alter von Teebüschen und oft auch verschiedene (Shuixian-Unter-)Varietäten zusammen und röstet die Tees meisterhaft über Litschi-Holzkohle. Professor Ye, wie wir in nennen, hat ab 1989 in der Chaozhou-Filiale der staatlichen China National Native Produce & Animal Byproducts Import & Export Company, kurz CNNP gearbeitet und diese (also die Chaozhou Filiale) bei der Privatisierung 1993 übernommen. Er verfügt über ein enormes Teefachwissen nicht nur zu Feng Huang Dan Cong, sondern von vielen anderen China-Tees und speziell von alten Pu Er, denn die Yunnan-Filiale verfügte damals nicht über eine Export-Abteilung, die Pu Er wurden über Guangdong exportiert – und so hatte Meister Ye Zugang dazu. Immer wieder überrascht er uns mit alten Tees aus seinem Lager (das riesig sei muss). Dieses Mal konnten wir einen Feng Huang Dan Cong von 1985 geniessen sowie zwei hervorragende fermentierte Pu Er Shu Cha von 2006. Mittlerweile hat sich die Situation in Yunnan und anderswo radikal verändert, solche Tees wird es also zukünftig nicht mehr geben. Zum Schluss noch kurz zu den Teepflanzenvarietäten. Es existieren die traditionelle Varietät Shi Gu Ping Wu Long und einige neuere Varietäten wie Qi Lan, die korrekterweise nicht zu den Dan Cong gehören. Alle anderen sind Untervarietäten von Shuixian, die wie geschrieben seit der Songdynastie, also seit über 700 Jahren, am Wudong angebaut werden. Über natürliche Mutationen und/oder Auslese eines bestimmten Baumes und Vermehrung über Stecklinge durch Menschen entstanden unzählige Untervarietäten. Etwas ganz anderes ist die Namensgebung. Tee aus Bai Ye wird zu Mi Lan Xiang, Ju Dou Zi wird zu Xing Ren Xiang, aus Da Wu Ye wird unter Umständen Ya Shi Xiang oder Tong Tian Xiang. Zwar existieren einige „Regeln“, die aber je nach Produzentin oder Teebauer anders tönen und Aussenstehenden wohl nie ganz klar werden. Grundsätzlich kann aber ein Tee nach Duft und Geschmack wie auch immer genannt werden. Namen sind nur Schall und Rauch. Je länger man sich mit Phoenix Single Bush beschäftigt, desto komplizierter wird es mit den Teenamen und Teevarietäten, und zum Schluss löst sich das ganze Knäuel auf. Man versteht es noch immer nicht, weiss aber, dass es nicht zu verstehen ist.