Reisebericht: Suzhou, Shanghai 17.-20. April 2018
Dienstag, 17. April 2018 // Endlich wieder in China! Gut drei Wochen später als die letzten beiden Jahre bin ich nach ereignisloser ohne Probleme verlaufender, aber wie immer anstrengender und mühsamer Flugreise in Shanghai angekommen, und zwar am alten Flughafen Hongqiao im Westen der Stadt, wo nebenan der Hochgeschwindigkeitszug-Bahnhof gebaut wurde. Die beiden sind miteinander verbunden und bilden mit einem Busbahnhof den Transporthub Hongqiao. So konnte ich gleich weiterreisen und konnte zudem spontan Entscheiden, wo ich zuerst hingehen würde; denn die Reiseroute hängt unter anderem vom Wetter ab. Die Direktflüge aus Europa landen allerdings am neuen Flughafen Pudong, östlich der Stadt am Meer gelegen. Eine U-Bahnlinie verbindet zwar die beiden Flughäfen und mit der Magnetschwebebahn Maglev kann die Stadt noch etwas schneller (und teurer) erreicht werden, aber die Reise dauert dann doch ein bis zwei Stunden. Deshalb bin ich über Beijing geflogen, und mit der Umsteigezeit abzüglich der in beiden Fällen erforderlichen Einreiseformalitäten war ich wohl in etwa gleich schnell. Nun ja.
Tickets für die Hochgeschwindigkeitszüge können mittlerweile per App auf dem Mobiltelefon („Handmaschine“ auf Chinesisch) und am Bahnhof an Automaten gelöst werden – sofern ein chinesischer Ausweis vorhanden ist. Als Ausländer muss ich immer noch Schlange stehen, neben diversen ChinesInnen, die entweder ein Ticket für einen normalen Zug brauchen oder weshalb auch immer ihr Hochgeschwindigkeitszug-Ticket am Schalter lösen. Züge nach Suzhou fahren fast alle zehn Minuten, so dass ich schlussendlich kurz nach Mittag am dortigen vor einigen Jahren neu gebauten Bahnhof angekommen bin. Nach einer knappen halben Stunde U-Bahn, einem kurzen Mittagessen, Ruhen im Tongjing-Park nebenan und einer kurzen Taxifahrt bin ich dann kurz nach 14 Uhr an meinem eigentlichen ersten Ziel angekommen: Im Laden von Zheng Shishuai im Teemarkt von Suzhou.
Auf unserer China-Einkaufsreise im Frühling 2007 war ich mit meinem Vater Gerhard Lange auf der Suche nach originalem Bi Luo Chun zum ersten Mal in seinem Laden, seither waren wir abwechselnd oder zusammen jedes Jahr da und haben nicht nur Bi Luo Chun, sondern diverse weitere Grüntees aus der Gegend um den See Taihu (zwischen den Provinzen Jiangsu und Zhejiang) sowie aus seinem Heimatgebiet Taishun (im Süden der Provinz Zhejiang, an der Grenze zur Provinz Fujian). Mehrere Male waren wir mit ihm auf der Insel Xishan im See Taihu, um Teegärten und Produktion von Bi Luo Chun zu sehen. Über ihn haben wir An Ji Bai Cha kennengelernt, ich konnte 2013 bei seinem Lieferanten Teegärten und Produktion besuchen. Dazu hatten wir zeitweise An Ji Bai Pian, Bai Cha Long Jing, Finest Bi Luo Chun, Lao Tu Cha, Kai Hua Long Ding, Gu Zhu Zi Sun über ihn gekauft.
Zheng Shishuai hat seinen Laden zusammen mit seinem Bruder Zheng Sanshuai im Jahr 1993 eröffnet. Dieser kümmerte sich dann um die betagten Eltern und hat mittlerweile einen eigenen Laden in Jiaxing. Shishuai führt den Laden zusammen mit seiner Frau (die genauen Funktionen bzw. Rollenverteilung entzieht sich meiner Kenntnis), dazu kommen noch zwei Angestellte. Er verfügt über langjährige Direktkontakte zu TeeproduzentInnen in den beiden genannten Regionen (Taihu und Taishun), wo er nicht nur Tee, sondern auch Fachwissen herholt. Einiges von meinem Fachwissen kommt auch von hier, durch die vielen Degustationen mit ihm habe ich viel lernen können. Über die Jahre haben wir Umbauten und Vergrösserungen des Ladens miterlebt. Von Anfang an hatte er auch ein grosses, aber ausgesuchtes Sortiment an Teegeschirr, was den grössten Teil seines Ladens ausmacht. Nachdem er jahrelang die lokalen, berühmten und weniger bekannten Grüntees verkaufte, sind mittlerweile auch Tees aus anderen Gegenden zum Sortiment hinzugekommen, Pu Er, Tie Guan Yin, Dan Cong, Schwarze Tees. Vor einigen Jahren eröffnete er einen weiteren Laden in einem neuen Einkaufszentrum in Suzhou, wo er nur vorabgepackt Markentees verkauft. (Chinesische Marken, nicht Lipton oder Länggass-Tee). Also eher im Luxussegment, im Reich von nomen est omen. Dieses Geschäft laufe aber nicht so toll, und auch in seinem Stammladen sei es wie für die meisten Teeläden in China nicht einfacher geworden. Einerseits die wirtschaftliche und politische Lage, die in China längst nicht mehr so gut aussieht wie noch Anfangs der 10er Jahre, andererseits der Teemarkt mit seinen ständig - zum Teil verrückt - steigenden Preisen. Auch er weicht auf nicht-originale Tees aus (die als original bezeichnet zu Fälschungen würden), um neben den teureren echten, originalen Tees auch günstigere Varianten anbieten zu können.
Wir von Länggass-Tee kaufen nur noch originalen Bi Luo Chun und An Ji Bai Pian und einiges an Teegeschirr von Zheng Shi Shui, weil wir über die Jahre immer weitere Teegebiete selber entdecken, über andere Lieferanten Tee kaufen und auch unser Sortiment anpassen. Mittlerweile ist es nicht mehr soviel Einkaufen, eher ein Besuch eines alten Freundes. Und immer noch trinken wir zusammen Tee, unterhalten uns über die aktuelle Teesituation und gehen zusammen Essen.
Mittwoch, 18. April 2018 // Nachdem ich am Vortag bei Zheng Shishuai den Biluochun 2018 eigentlich eingekauft hatte, waren mir doch über meine Wahl Zweifel gekommen, so dass ich kurzerhand noch einmal zum Teemarkt gefahren bin. Die Wahl an sich war nicht das Problem, auch beim Degustieren an diesem Morgen hat sich bestätigt, dass er der Beste der noch verfügbaren Bi Luo Chun aus Xishan ist – viele weitere waren bereits ausverkauft. Aber der Preis ist doch viel höher als die qualitativ nur minim darunter stehende zweite Variante. Beim genaueren Degustieren wurde auch der Unterschied der beiden Tees klarer: der teurere besteht aus regelmässigerem Pflückgut und ist etwas heller im Blatt, mit mehr Blattbehaarung – was dem modernen Bedürfnis nach gutem Aussehen des Tees Rechnung trägt - im Geschmack blumig-süss. Der günstigere ist aus etwas unregelmässigerem Pflückgut und deutlich dunkler, mit weniger Blattbehaarung, mit schwereren Geschmacksnoten und mehr umami – also eher eine klassischere Variante. Meine von der dunkleren Farbe herkommende Angst, der Tee sei eventuell zu heiss getrocknet, hat sich überhaupt nicht bestätigt. Diese Beschreibungen erklären den Preisunterschied schon zur Genüge – gefragt ist die modernere Variante – hinzu kommt der zwei Tage frühere Erntezeitpunkt des teureren.
Letztes Jahr war in Suzhou eine neue U-Bahn-Linie eröffnet worden, die eine Station näher am Teemarkt hat. Shishuai hat mich dorthin gebracht und wir haben uns verabschiedet, wie in China üblich, so in der Art wie bei uns „bis nachher“, um sich in zwei Stunden wiederzutreffen.
Nach einer U-Bahn-Fahrt bin ich am Bahnhof in den Hochgeschwindigkeitszug nach Shanghai gestiegen. Tags zuvor hatte ich natürlich bereits ein Ticket gekauft, nicht nach Hongqiao, sondern zum Hauptbahnhof in der Stadt. Dort angekommen, habe ich eine Filiale der Industrial and Commercial Bank of China aufgesucht, um die Schweizer Franken auf meinem dortigen Bankkonto in Chinesische Renminbi Yuan zu wechseln – als Ausländer muss ich dafür in einer Filiale in der Provinz, wo ich das Konto eröffnet hatte, persönlich vorbei; ChinesInnen können per Online-Banking wechseln. Tja.
Dann bin ich zum Teeladen von Zhang Xiuru in einem hiesigen Teemarkt gefahren, wo ich mit Weng Liping und Chen Sanmao verabredet war. Mittagessen beim Lieferservice war bereits bestellt, das Anstehen am Ticketautomat dauerte länger als die U-Bahn-Fahrt. Liping und Sanmao stammen aus Shanghai und leben in Brüssel. Seit über zehn Jahren beschäftigen sie sich intensiv mit Tee und der chinesischen Teekultur und haben ein riesiges Netz an Kontakten in der Teewelt geschaffen und sich enormes Fachwissen und grosse Erfahrung angeeignet. Sanmao arbeitet in einem Teeladen in Brüssel, Liping arbeitet als Künstler bei diversen Dokumentarfilmen mit. Daneben haben sie mit „Les Feuilles Vertes asbl“ eine Teevereinigung, wo sie Degustationen durchführen und Tee-Kultur vermitteln, aber ohne ein Teeladen zu sein. Im Frühling 2012 hatten wir uns bei einer Teeproduzentin in Wuyishan zufällig kennengelernt und uns schnell angefreundet. Seither arbeiten wir eng zusammen und können gegenseitig voneinander profitieren. Xiuru ist gleich alt wie ich, hat einen Teeladen in Shanghai und bezieht wie ich viele Tees übe Liping und Sanmao, zudem ist sie unsere lokale „Station“ in Shanghai.
Liping, Sanmao und Xiuru waren im letzten Drittel des März 2018 in Yunnan und besuchten diverse Pu’er-Teebauern. Einige rohe Pu Er kauften sie schon definitiv, andere müssen wir noch über verschiedene Muster aussuchen. Muster von weiteren rohen Pu Er sind zum lernen interessant. Anfang April waren sie dann in Dongshan bei Suzhou, um den originalen, klassichen Bi Luo Chun Single Wok zu kaufen und den Dörfern Longjing und Wengjiashan bei Hangzhou für die originalen Xi Hu Long Jing.
Donnerstag, 19. April 2018 // Wir verbrachten fast den ganzen Tag in Xiurus Laden mit Tee degustieren, vergleichen, einkaufen, lernen, nachdem wir schon am Nachmittag des Vortags mit den rohen Pu Er begonnen hatten. Wir suchten aus Mustern von verschiedenen Gärten einen aus für einen Mengku 2018, bestätigten den Youleshan 2018, verglichen mit Yiwushan 2018 und Bulangshan 2018 und verkosteten einige ältere rohe Pu Er aus den Jahren 2005 bis 2007. Einer davon ist von He San, unserem Teebauer am Nannuoshan. Dieser ist eindeutig der beste und vor allem auch derjenige Tee, den wir sicher rückverfolgen können. Nach dem Preiszerfall der Pu Er 2007 hat He San Frühlings-, Sommer- und Herbsternte gemischt und bei sich gelagert; wir können den Tee zu einem Freundschaftspreis kaufen. Neben den Pu Er sind etliche Muster Grüner und Gelber Tees aus den Provinzen Anhui und Zhejiang eingetroffen sowie von sonnengetrockneten Schwarztees aus der Provinz Yunnan. Wir suchten Long Jing Nr. 43 aus Xinchang aus, Huang Shan Mao Feng aus Huangshan und verglichen die bereits eingekauften Gelbtees Meng Ding Huang Ya und Jun Shan Yin Zhen mit Mustern von Wen Zhou Huang Tang, einem mir bisher unbekannten Gelbtee. Neben den Teedegustationen haben wir viel Organisatorisches besprochen, Verpackung, weitere Reiseroute, zu bestellende Teemengen, wie und wann welche Tees zu verschicken etc.