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Reisebericht: Yiwushan 27. März 2019

Ein alter Teebaum in Yiwushan, ManxiuAus der Ferne habe ich mich immer wieder gefragt: weshalb? Kaspar Lange porträtierte in den Reiseberichten der vergangenen Jahre all die alten Teebäume. Nun endlich selber vor Ort verstehe ich die Faszination. Theoretisch konnte ich ab dem ersten Moment nachvollziehen, weshalb die Bilder der Teebäume wichtig sind. Sie bilden den Rohstoff jener Tees, die wir ganz besonders lieben. Doch was sie wirklich bedeuten verstehe ich erst jetzt. Ein Blick in die Umgebung des Dorfes Yiwu erklärt vieles. In Yiwu begann die grosse Jagd auf Pu Er. Dies allerdings erst Anfang des neuen Jahrtausends, vorher galten die Teebäume im Urwald als minderwertig und unnütz. In den 1980er Jahren wies die Regierung die Bauernfamilien an, den Urwald mit den Teebäumen zu roden, um Kautschuk, Bananen oder junge Teepflanzen in Plantagen anzulegen. Die Produktivität der Region sollte möglichst hoch sein. Heute ist Yiwu eines der populärsten Dörfer für Pu Er aus alten Teebäumen. Allerdings wurden rund um das Dorf in den 80er Jahren so viele alte Teebäume gefällt, dass es heute niemals soviel Yiwu-Tee aus alten Bäumen geben kann wie verkauft wird. Zusätzlich wird rund um das neue Dorf der Berg abgetragen, um mehrstöckige Häuser zu bauen. Das Dorf wächst und wächst, die
Umgebung wird von Jahr zu Jahr wüster.



Aufstieg zum Teegarten von Xu Lian. Es gilt: je steiler der Garten, desto besser der TeeDer Teegarten liegt in einer Senke umgeben von hohen Bäumen im UrwaldXu Lian zwischen seinen Teebäumen. Die Stämme sind kurz, weil sie in den 80er Jahren zurückgeschnitten wurdenLebendiger Boden, die Blätter bleiben liegen und schüzten die Erde, der Boden ist bewachsen, die Blätter von Tieren angeknabbert: alles spricht für einen sorgfältigen Umgang mit dem TerroirEiner der wenigen hochgewachsenen Bäumen mit Holzkonstruktion für die PflückungMoosbewachsen, mit Flechten, tiefe Wurzeln: aus Blättern solcher Bäume entstehen Aufgüsse, die im Mund nach dem Genuss sehr lange nachwirkenTina Wagner Lange zwischen alten Teebäumen, jeder einzelne berührt und begeistert uns


Nun kommen die Fotos der Teebäume ins Spiel. Wir sind auf der Suche nach authentischen Menschen mit authentischem Tee, beides ist insbesondere in Yiwu schwer zu finden. Es reicht nicht, eine Bauernfamilie zu fragen, ob sie Bilder haben von ihren Gärten – das haben sie alle. Fragt man jedoch weiter nach, ob es denn möglich ist die Gärten zu sehen wird es sogleich schwieriger. Selbst, wenn man die Möglichkeit erhält einen Garten zu begehen, ist nicht garantiert, dass der angebotene Tee auch tatsächlich von da stammt. Da sehr viel Geld im Spiel ist und viele der Kundinnen und Kunden wenig vom Tee verstehen sondern nur nach Business-Gedanken handeln, ist Authentizität kaum gefragt. Blätter von alten Bäumen werden hemmungslos mit Blättern von jungen Bäumen gemischt und dennoch zu horrenden Preisen verkauft. Begegnen wir unter diesen Umständen einer Person, die ehrlich ist und uns die Gärten zeigt und sich das Terroir zusätzlich in der Teedegustation bestätigt, ist das ein besonderer Moment.
Xu Lian, ein Teeproduzent aus dem Dorf Manxiu im Gebiet Yiwushan überzeugt. Es gibt bestimmte Merkmale, die uns darauf schliessen lassen, dass eine Person ehrlich ist. Xu Lian zum Beispiel erwähnt ganz zu Beginn des Treffens, dass seine Bäume in den 1980er Jahren ganz kurz zurückgeschnitten wurden – oder wörtlich aus dem Chinesischen: geköpft. Seine Eltern folgten der Anweisung der Regierung nicht ganz. Anstatt zu roden, wurden die Pflanzen ganz einfach auf ein Minimum gestutzt. Die Wurzeln blieben jedoch unversehrt. Andere Produzenten prahlen mit ihren Teebäumen, mit dem Alter und der Qualität, obwohl (uns) bekannt ist, dass in ganz Yiwu ähnlich vorgegangen wurde.

Kaspar Lange im Teegarten von Xu LianIm Vordergrund ein neu angelegter Teegarten mit kleinen, jungen BüschenUnter all den Pflanzen befindet sich der kleine Bach dieses Berges. Zurzeit führt er jedoch kein Wasser, dieser Frühling ist sehr trocken

Teedegustation vor dem Haus der Familie XuDie Teegärten von Xu Lian sind schön gelegen. An steilen Hängen, umgeben von lebendigem Urwald. Die Bäume wurden allesamt zurückgeschnitten, die Stämme jedoch sind fest und weit. Wir kennen die Geschichte der Teewälder um Yiwu, daher ist es vor Ort tatsächlich eine unglaubliche Freude, diese alten Bäume zu sehen. Zu fünft begehen wir die steilen Gärten, hangeln uns von Baum zu Baum. Immer wieder ruft jemand aus „schau da, ein wunderschöner alter Baum“. Der Stamm wird begutachtet, auch die Äste, das Moos, die Flechten, die Blätter und Knospen, welche dieses Jahr nur sehr langsam Spriessen. Wie am Nannuoshan ist auch hier jeder Baum einzigartig in seinem Charakter und das ist so berührend, dass wir tatsächlich nichts anderes taten als von Baum zu Baum zu gehen, jeden einzelnen zu begutachten und zu fotografieren. Daher stammen all die Bilder der alten Teebäume. Es wird soviel über sie erzählt, soviel gelogen, dass es jedes Mal von neuem besonders glücklich macht. Kaspar Lange reist seit vielen Jahren nach China, um ebendiese Gärten zu finden. Unterwegs traf er auf Weng Liping, der sein Schaffen genau dieser Suche widmet und mit Erfahrung und Hartnäckigkeit die Anbaugebiete durchkämmt. Dahinter steckt viel Arbeit, viele enttäuschende Momente, viele schlechte Tees und unehrliche Begegnungen, um dann schlussendlich an den schönen Orten zu landen. Ein Bild von einem schönen, alten Teewald drückt auch den Stolz aus, diesen Tee gefunden zu haben und die Freude darüber, dass es die schönen Dinge tatsächlich gibt.

Tina Wagner Lange, 28. März 2019 in Jinghong (Xishuangbanna)

Frisch verarbeitete Teeblätter bereit zum AufgiessenDer erste AufgussDie verarbeiteten Blätter trocknen in der Sonne

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